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Am Wochenende werden die Gedenkfeiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls in Pathos und Selbstgewissheit erstickt. Die wahren Helden des vergangenen Vierteljahrhunderts bleiben vergessen. Ein sehr persönlicher Essay. Von Janko Tietz

Für mich öffnete sich die Mauer vor 30 Jahren. Wir fuhren einfach hindurch. Es war am 1. März 1984, als unser Zug den Grenzübergang Gutenfürst passierte und wir nach mehr als vier Jahren Wartezeit am Bahnhof von Hof in Bayern ankamen. Ende der Siebzigerjahre hatten meine Eltern einen Ausreiseantrag gestellt. Sie glaubten nicht daran, dass die Mauer irgendwann einmal fallen würde. Aber wer glaubte das schon?

Wir verkauften große Teile unseres Hausstands und saßen vier Jahre lang auf gepackten Koffern. Als der Antrag genehmigt war und der Zug endlich losfuhr, ließen wir vieles hinter uns, auch meine Großeltern, die davon ausgingen, dass wir auf Jahre nicht mehr in die Heimat zurückkehren könnten, um sie zu besuchen.

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SPIEGEL ONLINE

Autor Janko Tietz als 14-Jähriger vor dem Brandenburger Tor

Es war erst mittags, aber in Hof angekommen gab es Schnaps für die Erwachsenen im Zug. Mein Vater hatte es geschafft, ein paar hundert Westmark in den Socken in den Westen zu schmuggeln, die er zuvor bei italienischen Gastarbeitern im Osten zu einem horrenden Kurs umgetauscht hatte. Hätten ihn die Grenzer gefilzt, wäre der Zug für uns nicht weiter Richtung Hof gerollt, sondern zurück, Richtung Bautzen. Ins Zuchthaus.

Der Anfang war also gemacht.

Wir fuhren weiter ins Notaufnahmelager in Gießen. Dort versammelte die BRD - wie wir sie nannten - alle Neuankömmlinge, die den Weg in den Westen geschafft hatten. Wenn man heute von der "BRD" spricht, hat das meist etwas despektierliches, etwas distanziertes. Für uns war die BRD Verheißung, Zukunft, Perspektive. Wir konnten uns gar nicht genug nicht distanzieren.

Von Gießen aus wurden die Übersiedler auf die Bundesländer verteilt. Für uns ging es nach Baden-Württemberg. Wir fuhren weiter ins Notaufnahmelager Rastatt. Dort verteilte das Bundesland die Menschen auf die Landkreise. Wir kamen ins Notaufnahmelager Heidenheim. Nach ein paar Wochen in diesen Notunterkünften zogen wir schließlich in den Landkreis Göppingen.

In eine Wohnung, mit 90 Quadratmetern doppelt so groß wie unsere alte im Osten. In eine Gegend, die damals die niedrigste Arbeitslosenquote im ganzen Bundesgebiet hatte. Freunde meiner Eltern hatten die Wohnung organisiert - mit Balkon und Telefon. Mein Bruder und ich hatten jeweils ein eigenes Zimmer. Allein das war Fortschritt. Dieselben Freunde organisierten auch Jobs für meine Eltern. Sie konnten weiterhin in ihrem Beruf arbeiten und verdienten plötzlich das Dreifache - in Westmark! Wir hatten vier Jahre Zeit, uns mit dem Westen auseinanderzusetzen und darauf vorzubereiten.

Als wir ankamen, war alles angerichtet für unseren Start. Es begann ein neues Leben. Als fünf Jahre später die 16 Millionen Menschen der DDR im Westen ankamen, endete für die meisten ihr altes. Für sie kam der Westen plötzlich über sie wie Schnee im Juli. Schnee, der liegenblieb.

Die Wende war Glücksfall und Erschütterung zugleich

Zum 25. Mal jährt sich nun der Fall der Mauer. Es wird Gedenkfeiern geben, Politiker werden sich gegenseitig beglückwünschen, welch famosen Verlauf die vergangenen 25 Jahre genommen haben. Sie haben recht. Doch das ist nicht das Verdienst von Helmut Kohl, auch nicht das Verdienst des Westens generell, der bislang knapp zwei Billionen Euro in den Osten transferiert hat. Davon sind schöne Straßen gebaut worden, nette Schwimmbäder entstanden und historische Stadtkerne saniert worden. Alles wunderbar. Es ist vielleicht das Verdienst von DDR-Bürgerrechtlern, dass die Wiedervereinigung kam, aber nicht, dass sie geglückt ist. Das ist allein die Leistung der 16 Millionen Menschen, für die sich am 9. November 1989 die Grenzen öffneten.

Der Gewinn der Freiheit ging für fast alle DDR-Bürger mit dem Verlust von Lebensentwürfen einher. Jeder Haushalt, wirklich jeder, wurde von der Wucht des Mauerfalls und von dessen Folgen erfasst. Und es waren ganz alltägliche, ja existenzielle Probleme, die plötzlich in das Leben der Menschen einzogen: Das reichte vom Verlust des Arbeitsplatzes über exorbitant steigende Mieten bis zu Rechnungen über Tausende von Mark für Anschlussgebühren ans öffentliche Abwassersystem.

Die Wende war Glücksfall und Erschütterung zugleich. Abermillionen Menschen wurden in die Freiheit entlassen, aber auch in eine Orientierungslosigkeit, die für das ganze Land hätte gefährlich werden können.

Natürlich war es eine logische Konsequenz, dass die Wirtschaft und damit die Lebensgrundlage für fast alle Menschen im Osten zusammenbrachen. Das Land war marode, von Verrat geprägt und innerlich zerfallen. Aber die Menschen haben sich diesen Zustand nicht ausgesucht. Dass sie sich damit arrangiert haben, zeugt nicht von kollektiver Mutlosigkeit und Lethargie. Denn wie die Deutschen im Osten am Ende den Kollaps ihre Landes gemeistert haben, wie sie versuchten, ihr Leben komplett neu zu ordnen, ist das Gegenteil von Mutlosigkeit und Lethargie. Ausgerechnet in der liberalen und verständnisvollen "Zeit" wurde im Juli 1991 der Begriff des Jammer-Ossis geboren. Ich habe nie verstanden, warum man den Leuten jenseits der Elbe diesen Stempel aufdrückte und auch heute nicht davon ablässt.

Man stelle sich vor - nur hypothetisch -, von heute auf morgen würde das gesamte Gesellschaftssystem des Westens zusammenbrechen. Der Hafen in Hamburg - pleite, weil es nichts mehr zu exportieren gibt und für Importe das Geld fehlt. Das Finanzzentrum in Frankfurt am Main - abgewickelt, weil gescheitert. Der Maschinenbau in Baden-Württemberg - konkurs, weil niemand mehr die Produkte will. Siemens oder BMW in Bayern - bankrott, weil die Firmen nicht mehr konkurrenzfähig sind. Alles, was einem Land Halt und Stabilität gibt - einfach weg. Nichts anderes haben die Ostdeutschen erlebt. Ich weiß nicht, wie gelassen die Gesellschaft bliebe, würde ihr widerfahren, was den Ostdeutschen nach dem Zusammenbruch widerfahren ist. Ein Arbeitsplatz war da vielen näher als die Freiheit zur Reise nach Rimini. Ja, es gab und gibt Bornierte und Unbelehrbare, die entweder ins rechte Lager abdrifteten oder weiter für den SED-Staat schwärmten. Aber wenn 10 Prozent extremistische Parteien wie die NPD oder die DVU wählten, heißt das, dass 90 Prozent es nicht taten.

Natürlich ließ sich aus Westperspektive trefflich lästern über die Ostfrauen mit ihren roten Strähnen im Haar, über Blouson-Jacken-Träger mit sächsischem Dialekt, über Maiks und Mandys, die allein deshalb als tumb galten, weil sie so hießen, wie sie hießen. Das schöne ist: Die Ostdeutschen ließen sich nicht beirren, es machte ihnen nur bedingt etwas aus, verhöhnt zu werden. Angela Merkel wurde Kanzlerin trotz ihrer Frisur, Jan-Josef Liefers beliebtester Tatort-Kommissar trotz Dresdner Herkunft, Michael Ballack Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft trotz sportlicher Wurzeln in Karl-Marx-Stadt. So wie Prominente ihren Weg suchten, suchten ihn auch die einfachen Leute - wenn auch oft mit weniger Fortune.

Phlegmatisch ist was anderes

Mein Onkel, ein studierter Logistik-Ingenieur, verdingte sich nach der Wende als Haustür-Weinverkäufer in einer Drückerkolonne, später führte er ein kleines Lebensmittelgeschäft auf dem Dorf. Unsere frühere Nachbarin - eine Präzisionsmechanikerin - fand sich als Verkäuferin in einem Uhrengeschäft wieder. Der Tierarzt im Dorf meiner Großeltern stand von heut auf morgen ohne Job da, weil die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) aufgelöst wurden. Der erste Penny im Ort meiner Großeltern zahlte fünf D-Mark Stundenlohn an die Kassiererinnen. Der Ehemann einer Sandkasten-Freundin fährt bis heute jeden Sonntagabend von Sachsen nach Köln und jeden Freitag wieder zurück, um seiner Arbeit nachgehen zu können. Hunderttausende im Osten machen es genauso. Vor dem Fall der Mauer, im August 1989, verließen 44.200 DDR-Bürger ihr Land, Ende 1989 waren es fast 350.000, auf der Suche nach einem Ziel, auf der Suche nach einem Job, auf der Suche nach einem neuen Leben. Soziale Bindungen gingen in die Brüche, familiäre Strukturen wurden durcheinandergewirbelt. Phlegmatisch ist was anderes.

Obwohl nicht ein einziger Dax-Konzern seine Zentrale in Ostdeutschland hat, erreichen die Ostdeutschen inzwischen fast 80 Prozent des Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktes des Westens, ebenso knapp 80 Prozent der Produktivität. Die Quote der Unternehmensgründungen hat beinahe West-Niveau erreicht, bei den Selbstständigen liegt sie sogar darüber.

Ein kollektives Jammern darüber, dass es immer noch einen Abstand gibt, habe ich nie vernommen. Im Gegenteil. Die Ostdeutschen haben sich stoisch und genügsam mit den Unwägbarkeiten der Nachwendezeit arrangiert, sind geduldig und darauf konditioniert, sich an kleinen Fortschritten zu erfreuen. Und wenn sich mal jemand über die Einkommensunterschiede aufregt, die nach wie vor herrschen, bedeutet das nicht, dass er ein kategorischer Nörgler ist.

Ines Geipel, Autorin des Buches "Generation Mauer", sagte kürzlich, der Westen konnte sich dem Bruch einfach verweigern. Dort änderte sich nach dem Mauerfall so gut wie nichts im Leben der Menschen. "Wir mussten den Zeitschnitt 1989 anders in unsere Leben integrieren." In ihrem Buch kommt auch der Maler und Illustrator Moritz Götze aus Halle zu Wort, der einst als Punk gegen das DDR-System aufbegehrte. "Wir haben die Geschichte in uns, und was toll an der Welt ist, können wir nutzen."

Jetzt, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, lässt sich sagen: Die Menschen im Osten haben es genutzt. Der Schnee ist geschmolzen.

Quelle : http://www.spiegel.de/einestages/25-jahre-mauerfall-ode-an-die-ossis-a-1001351.html

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